Diese Kurzgeschichte spielt im Rahmen der Buchreihe um Sophie und ihre Freundinnen von der Ballfreunde-Mädchenmannschaft. Zeitlich ist sie nach dem vierten Band angesiedelt. Wenn ihr den noch nicht gelesen habt und euch hier etwas rätselhaft vorkommt, könnte das also ein Spoiler sein.
Wer genau die Idee aufgebracht hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, aber ich vermute, der Gedanke, dass man an Halloween was zusammen machen müsste, ist einigen von uns durch den Kopf gegangen. Irgendwann haben wir in der Kabine ein Brainstorming veranstaltet, und herausgekommen ist ein Freundschaftsspiel mit anschließender Übernachtungsparty im Vereinsheim.
Obwohl Halloween in diesem Jahr in die Herbstferien fällt und der 31. Oktober noch dazu ausnahmsweise in ganz Deutschland ein Feiertag ist, hat Elena es geschafft, einen Gegner für ein Freundschaftsspiel am Abend zu finden. Der HSC Jahn – das H steht wohl für den Ortsteil, in dem er heimisch ist – kommt aus dem Emsland und hat gut 100 Kilometer Anfahrt, nimmt die anderthalb Stunden Fahrt aber gerne in Kauf, um mal andere Gegner zu sehen als die Nachbarn, von denen man sich seit Jahren mit den immer ungefähr gleichen Ergebnissen trennt. Ich hab vor dem Anstoß Gelegenheit, mit der Spielführerin zu quatschen, die Mädchenliga bei ihnen besteht aus neun Mannschaften, und selbst da müssen sie teilweise schon zwanzig, dreißig Kilometer fahren.
Frag mich keiner, wie Elena an den Kontakt gekommen ist, kann sein, dass sie in einem Fußballforum die Freundschaftsspielbörse durchforstet hat. Dass sie einen Gegner eingeladen hat, den wir noch nicht kennen, finde ich gut, wir bewegen uns ja sonst auch immer im Kreis der gleichen Mannschaften, auch wenn wir in der Umgebung ein paar Mädchenmannschaften mehr haben als der HSC.
Die letzte Saison hat der HSC in fast identischer Besetzung wie heute – es gab nur einen altersbedingten Abgang, und zwei Mädchen sind aus der D-Jugend nachgerückt – als Vizemeister punktgleich mit dem Staffelsieger beendet, und derzeit stehen sie mit drei Punkten Vorsprung bei einem Spiel mehr als die Verfolger an der Tabellenspitze. Ich glaube aber nicht, dass Elena da das Hauptaugenmerk drauf gerichtet hat, zumal sich die Ligen ohnehin schwer vergleichen lassen, das haben wir ja auch beim ersten Testspiel nach den Sommerferien im Nachbarkreis gemerkt.
Die Kapitänin erzählt mir, dass sie auf eine Spielerin verzichten müssen, eine der jüngeren, deren Eltern die Mitfahrt nicht erlaubt haben. Ich finde das schade, es ist geplant, dass die Mädchen aus dem Emsland nach dem Spiel noch eine Weile mit uns feiern, ehe sie wieder nach Hause fahren, das war der einen Mutter wohl zu spät, obwohl morgen doch keine Schule ist.
Wir selbst können in Bestbesetzung antreten, niemand ist in dieser Woche in Urlaub oder fehlt aus anderen Gründen. Svea war in der ersten Ferienwoche bei ihrem geschiedenen Papa in Hamburg, jetzt ist sie wieder da und kann zusammen mit Elin auf der Doppelsechs spielen. Neben mir in der Viererkette beginnt zum ersten Mal seit langem Louisa, die meisten Spiele auf dieser Position haben nach Hatices Abgang zu den Damen Joana und Milena gemacht.
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Der Trainer vom HSC hat seiner Mannschaft eine ziemlich defensive Spielweise verordnet. Eigentlich ist das überraschend für ein Team, das als Tabellenführer bei einem Dritten antritt, aber vielleicht geht er davon aus, dass die Liga in einem Ballungsraum mit mehr Mannschaften stärker sein muss als auf dem Land. So haben wir mehr Ballbesitz, tun uns aber schwer, etwas daraus zu machen. Der Abwehrriegel vor dem Strafraum, drei Innenverteidiger und zwei Außen, die sich bei gegnerischem Ballbesitz zurückfallen lassen, machen im Zusammenspiel mit der Doppelsechs die Räume eng, bei Ballgewinn sollen zügig die beiden einzigen echten Offensiven in Szene gesetzt werden.
Ich muss zugeben, dass das Konzept nicht schlecht funktioniert, die beiden Konter, die sie auf diese Weise setzen, sind auf jeden Fall gefährlicher als die Fernschüsse, mit denen wir mangels Durchkommen in den Strafraum in den ersten zwanzig Minuten unser Glück versuchen. Einmal kann ich die HSC-Stürmerin ablaufen und vom Ball trennen, beim zweiten Mal muss Martha retten. Unsere beste Chance ist ein Schuss von Siobhán nach Ablage von Jenny, der vor allem deshalb gefährlich wird, weil eine Verteidigerin noch mit dem Fuß dran ist und ihn zu einer Bogenlampe abfälscht. Die Torhüterin des HSC ist nicht besonders groß, ich schätze, sie ist auch erst zwölf oder dreizehn, aber sie bekommt den Ball noch mit den Fingerspitzen über die Latte gehoben.
Der Volksmund sagt, dass irgendwann mal ein Standard herhalten muss, wenn aus dem Spiel heraus nichts geht. Wenig überraschend ist es deshalb eine Ecke, die uns das 1:0 ermöglicht: Kitty bringt sie als Linksfuß von rechts mit Zug zum Tor rein, die Torhüterin kommt nicht dran, und dann steht Jenny da, wo eine Stürmerin stehen muss.
Ist das der Dosenöffner? Kaum, denn das Wort impliziert, dass es jetzt so richtig losgeht, nachdem einmal der Anfang gemacht ist. Zugegeben, es geht auch los, aus unserer Sicht allerdings nach hinten, denn fast im direkten Gegenzug gelingt dem HSC der Ausgleich. Nach dem Wiederanpfiff kann Martha den Erfolg des ersten Angriffs nur auf Kosten einer Ecke verhindern, und ich muss es mit auf meine Kappe nehmen, dass wir das Ding nicht richtig geklärt kriegen. Ich verpasse um eine Winzigkeit meinen Einsatz, als der Ball hereinkommt, damit bringe ich mich selbst um die Chance, meiner Gegenspielerin einfach nur den Weg zum Ball zuzumachen und das Wegköpfen der Kugel Anna zu überlassen, die dafür eindeutig günstiger postiert ist. Ich muss selbst ins Kopfballduell, um zu verhindern, dass meine Gegenspielerin frei einköpfen kann, komme aber nur noch so halb dran und lenke den Ball damit genau zu einer HSC-Spielerin, die auf eben solche Situationen an der Strafraumgrenze lauert. Die fackelt nicht lange, und der Ball, von einer Kameradin der Schützin, die nicht rechtzeitig aus der Schussbahn kommt, noch unfreiwillig mit dem Hintern abgefälscht, schlägt unhaltbar für Martha in den Winkel ein. Verena, die am Pfosten steht, fehlt mit ihren neun Jahren für die Großtat, die uns noch hätte retten können, einfach die geforderte Mindestlänge.
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Irgendwie haben wir uns nach den beiden Toren eingegroovt, und das Spiel wird munterer. Die Mädchen vom HSC sind jetzt galliger auf die Führung, der sprichwörtliche Bus vor dem Tor schrumpft zugunsten häufigerer Offensivaktionen zu einem Van. Wir kommen zu mehr Abschlüssen aus besserer Position, müssen allerdings auch hinten aufpassen, dass wir uns keinen einfangen. Die wenigen Zuschauer, die sich das Spiel bei Nieselregen antun, bekommen etwas geboten, auch wenn in der ersten Halbzeit kein weiteres Tor mehr fällt.
Kurz nach der Pause kommen dann auch die ersten Wechsel, es ist klar, dass in einem Freundschaftsspiel die Trainer niemanden auf der Bank lassen. Für eine Weile, so zwischen der 50. und 60. Minute, wird das Spiel dadurch etwas holprig, aber danach nimmt es wieder Fahrt auf. Der HSC spielt jetzt mehr über außen, weil das mit der eingewechselten Stürmerin, die ziemlich groß gewachsen ist, ein probates Mittel zu sein scheint, aber wir schaffen es meistens, den Durchbruch der Außen zur Grundlinie zu verhindern, und die Flanken aus dem Halbfeld bekommt die große Stürmerin mit dem Rücken zum Tor nicht richtig verarbeitet. In der Regel läuft das Ganze dann auf eine Ablage raus, eigentlich keine schlechte Taktik, aber gerade die Spielerinnen, die als Abnehmer in Frage kämen, sind nicht unbedingt die besten Schützen der Mannschaft.
Bei uns hat unter anderem Paula auf der rechten Seite Verena ersetzt, Milena ist in der Mittelfeldzentrale für Elin gekommen, und vorne hat Jenny Platz gemacht für Nele. Genau über diese drei läuft auch die Kombination, die zu unserer besten Torchance seit dem Seitenwechsel führt: Milena spielt den Ball halbhoch in den Lauf von Paula, die bringt ihn scharf in den Strafraum, und Nele drückt ihn irgendwie mit der Brust in Richtung Tor. Man sollte meinen, das wäre so ziemlich das letzte Körperteil, mit dem man ein Tor erzielt bekommt, aber der Ball droht im Bogen direkt am langen Pfosten reinzufallen, und die Torhüterin muss wirklich alles geben, um ihn noch aus dem Eck zu kratzen. Nele kann nicht mehr nachsetzen, weil sie bei ihrer Aktion auf den Bauch gefallen ist, und als Kitty an den Ball kommt, ist der Winkel schon zu spitz; der Ball knallt ans Außennetz.
Aber dieser Angriff markiert den Start unserer Schlussoffensive, der am Ende Martha mit einem langen Abschlag zum Erfolg verhilft. Nele kriegt das Ding an den Kopf, von einem kontrollierten Kopfball kann da echt keine Rede sein, aber sie hebt den Ball über die Gegenspielerin hinweg. In deren Rücken ist Siobhán dann am schnellsten und spielt Kitty frei, die den Ball mit einem schönen Lupfer über die etwas zu weit vorn stehende Torhüterin hinweg in den Kasten schlenzt.
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Die Mädchen vom HSC sind nicht lange traurig, dass sie kurz vor Schluss doch noch den zweiten Gegentreffer bekommen haben. Es war einfach ein geiles Spiel, trotz der etwas zähen Phasen, die es zwischendurch hatte, und die Party gleich im Vereinsheim verspricht genauso geil zu werden. Wir duschen, ziehen uns um und gehen dann alle gemeinsam rüber.
Der hintere, abtrennbare Teil des Saals ist für uns reserviert, und wir haben ihn vor dem Spiel schon hergerichtet. An einer Seite ist auf zwei Tischen das Buffet aufgebaut, zu dem jede von uns etwas beigetragen hat. Viele haben sich Mühe gegeben, es etwas Halloween-mäßig aussehen zu lassen, durchaus mit beachtlichem Erfolg. Nicht alle Ideen sind wirklich neu, aber in der Summe und kombiniert mit der Deko im Saal sieht das Ganze echt klasse aus.
Wir futtern, wir quatschen, und nachdem wir uns ein bisschen vom Spiel erholt haben, wird auch getanzt. Die Gruppen durchmischen sich rasch, die Mädchen vom HSC sind alle in Ordnung, und wir kommen schnell mit ihnen ins Gespräch. Dass es beizeiten ein Rückspiel geben wird, ist ausgemachte Sache, aber das zu planen überlassen wir den Trainern. Im Moment wollen wir einfach Spaß haben, und den haben wir auch.
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Viel zu schnell wird es für die Truppe vom HSC Zeit, sich auf den Rückweg zu machen, man darf nicht vergessen, dass sie noch anderthalb Stunden Fahrt vor sich haben, und sie haben auch Jüngere dabei, die nicht gar so spät wieder zu Hause sein sollten.
Für uns ist der Abend da längst noch nicht zu Ende, wie gesagt, wir schlafen im Vereinsheim, und keine von uns will jetzt schon ins Bett. Wir machen uns zwar schon mal fertig, so dass wir später nur noch in den Schlafsack schlüpfen müssen, aber dann wird weiter gefeiert. Jenny erzählt bei gedämpftem Licht angeblich wahre Gruselgeschichten aus einem Buch über mystische Ereignisse, das sie vor kurzem gelesen hat, und Siobhán singt für uns irische Folk Songs. Sie hat echt eine gute Stimme, das hat bis jetzt keiner von uns gewusst, und ein beachtliches Repertoire; ein paar Lieder, den Wild Rover oder Dirty Old Town, von dem Siobhán uns erzählt, dass es eigentlich gar kein irischer Song ist, kennen viele von uns, und wir singen mit, andere Lieder sind uns völlig neu.
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Um Mitternacht sind wir immer noch wach, auch wenn man nun schon merkt, dass einige langsam müde werden. „Mitternacht!“, sage ich laut, als meine Armbanduhr auf die volle Stunde springt. „Wisst ihr, was das bedeutet?“ „Geisterstunde!“, verkündet Anna mit tiefer, absichtlich zitternder Stimme. „Ja“, bestätige ich, „auch. Aber Leute, wir haben den 1. November jetzt.“ Ich sehe Martha an, dass ihr eine ganze Stadionbeleuchtung aufgeht, manchmal hab ich das Gefühl, sie kann meine Gedanken lesen, die anderen scheinen ahnungslos zu sein. „Das bedeutet, Louisa ist nicht mehr gesperrt!“
Die anderen sind für einen Moment verdutzt, das hatten sie alle nicht so richtig auf dem Schirm. Dann beginnen sie zu jubeln, und Louisa strahlt mich an, dass ich fast geblendet werde. Dabei kann ich gar nichts dafür, ich hab nur ausgesprochen, was Sache ist. Aber ich freue mich für sie, sie ist eine von uns, und wir sind alle glücklich, dass ihre Leidenszeit nun ein Ende hat.