Autorenseite René Bote

Der Klimpergeld-Fall

Cover des Buches [Title]
22. Dezember 2025
88
978-3565140206
epubli

Die Eltern haben es ja gleich gesagt: Die Sechstklässler sind noch nicht vernünftig genug, um selbst Geld zu sammeln und ein Geburtstagsgeschenk für die Klassenlehrerin zu besorgen. Wie zum Beweis verschwindet das Geld, und Emilia, die es eingesammelt hat, steht unter Druck: Sie muss das Geld unter allen Umständen zurückholen. Keine einfache Aufgabe, umso mehr, als dass alles dafür spricht, dass die Diebin in ihrer Klasse zu suchen ist …

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Taschenbuch € 7,50

„Super, du bist die Letzte, jetzt hab ich alle.“ Emilia steckte die drei Euro, die Franziska ihr gegeben hatte, ins Portemonnaie und machte auf ihrer Liste einen Haken hinter den Namen ihrer Klassenkameradin.

Als Klassensprecherin der 6a war ihr die Aufgabe zugefallen, Geld für den Geburtstag der Klassenlehrerin zu sammeln. Die Klasse beschenkte nicht alle Lehrer, da wäre doch sehr viel zusammengekommen, aber der 50. Geburtstag der Klassenlehrerin war ein Sonderfall. Der Anstoß war von den Eltern gekommen, die Kinder hatten gar nicht so auf dem Schirm gehabt, dass die Lehrerin demnächst einen runden Geburtstag feierte. Ganz reibungslos war das wohl nicht abgelaufen, zumindest hatte Emilias Mutter von längeren Diskussionen in der WhatsApp-Elterngruppe erzählt. Ein Teil der Eltern war dagegen gewesen, die Auswahl des Geschenks der Klasse zu überlassen, wohl aus Sorge, das würde nicht klappen oder etwas Unangemessenes dabei herauskommen. Andere hatten zu bedenken gegeben, dass die Kinder ein Recht hatten, mitzuentscheiden, was sie der Lehrerin überreichten. Am Ende hatte diese Gruppe sich durchgesetzt, und eine Mutter war mit dem Plan an den stellvertretenden Klassenlehrer, Herrn Schuster, herangetreten. Der hatte dann wiederum der Klasse den Vorschlag präsentiert und die Diskussion moderiert, was man Frau Weber schenken sollte. Er kannte seine Kollegin natürlich länger als die Kinder, und die Sechstklässler hatten insgesamt wenig Erfahrung darin, Erwachsene zu beschenken, sah man ab von den eigenen Eltern und Großeltern. Von der einen oder anderen Idee hatte er abgeraten, ohne die Klasse zu bevormunden, und die Kinder waren dankbar gewesen für die Unterstützung.

Am Ende war die Wahl auf einen Gutschein für Theaterkarten gefallen. Nadja, die die Idee aufgebracht hatte, hatte eigentlich angedacht, direkt Karten zu besorgen, Emilia hatte zu bedenken gegeben, dass sie Frau Webers Terminkalender nicht kannten. Damit war sie Herrn Schuster zuvorgekommen, der noch ergänzt hatte, dass Frau Weber mit einem Gutschein nicht nur zeitlich, sondern auch bei der Wahl des Stücks freier sein würde.

Ihren eigenen Beitrag ein- und ihr Taschengeld nicht mitgerechnet, hatte Emilia jetzt 81 Euro im Portemonnaie. Für 75 Euro sollte sie den Gutschein kaufen, das würde reichen, dass Frau Weber jemanden mitnehmen konnte und nicht die billigsten Plätze zu nehmen brauchte. Sechs Euro blieben damit noch für eine schöne Geburtstagskarte. Emilia würde beides am Nachmittag besorgen, zusammen mit Zara, ihrer Banknachbarin und besten Freundin. Sie würden zum Theater fahren, Gutscheine gab es zwar auch online, aber dann hätte ihnen doch wieder jemand helfen müssen. Sie hatten weder eine Kreditkarte noch eine andere der üblichen Online-Zahlungsmethoden, und bar bezahlen konnten sie den Gutschein nur direkt an der Theaterkasse.

***

In den letzten beiden Stunden hatte die 6a Schwimmunterricht. Da die Schule kein eigenes Schwimmbecken hatte, wartete zu Beginn der großen Pause ein Bus auf die Jungen und Mädchen, der sie zu einem einige Kilometer entfernten Hallenbad brachte.

Als Emilia und die anderen Mädchen in die Sammelumkleide kamen, waren dort noch die Mädchen einer anderen Klasse. Emilia und die anderen kannten das schon, die Klasse kam von einer anderen Schule, deren Pausenzeiten offenbar etwas anders lagen. Persönlich kannten sie einander nicht, und es wurde auch nicht weiter miteinander gesprochen, auch weil die anderen Mädchen schon fast fertig waren. Ein paar Gesichter kannte man nach fast einem Vierteljahr, auch den einen oder anderen Vornamen hatte Emilia aufgeschnappt, mehr nicht.

Emilia zog sich um und packte ihre Sachen zusammen mit Zaras in einen der Spinde. Damit sie die Tür abschließen konnte, brauchte sie eine Münze, aber daran hatte sie an diesem Tag ganz sicher keinen Mangel. „Hoffentlich schicken die uns nachher nicht weg mit so viel Kleingeld!“, sagte Zara, als Emilia eine Münze aus dem Portemonnaie gefischt hatte und das tatsächlich beträchtlich dicke Portemonnaie zu den anderen Sachen legte. „Werden sie schon nicht“, beruhigte Emilia sie. „Ich glaube, eine bestimmte Anzahl Münzen müssen sie sogar annehmen. Aber wenn alle mit Münzen gekommen wären, dann wär’s wahrscheinlich wirklich schwierig geworden, vor allem, wenn auch Fünfziger oder noch kleinere dabei gewesen wären. Die hätte ich gar nicht alle ins Portemonnaie gekriegt.“ Ein paar ihrer Klassenkameraden hatten mit Fünf- oder Zehn-Euro-Scheinen bezahlt, sodass Emilia zum Glück einige Münzen als Wechselgeld wieder hatte herausgeben können.

„Kommt ihr?“, fragte Antonia, die ihren Spind schon abgeschlossen und den Schlüssel am Handgelenk befestigt hatte. Sie war recht gut mit Emilia und Zara befreundet und tat sich bei Gruppenarbeiten meistens mit ihnen zusammen.

„Wir kommen“, antwortete Emilia. Sie schloss den Spind ab und folgte Antonia, die schon halb an der Tür zur Dusche war. Im Laufen befestigte sie den Schlüssel am Handgelenk und vergewisserte sich zweimal, dass er wirklich fest war. So wichtig wie an diesem Tag war es wohl noch nie gewesen, dass sie ihn nicht verlor.

***

In ihr Badetuch gewickelt kam Emilia eine gute Stunde später wieder in die Kabine. Sie hatte sich beeilt beim Duschen, um den nächsten Bus noch zu erreichen. Bis der gemietete Bus zurück zur Schule fuhr, war noch mehr als genug Zeit, die Lehrerin hatte früh genug Schluss gemacht. Aber weil für die 6a der Unterricht insgesamt zu Ende war, mussten die Kinder nicht wieder zurück zur Schule; wer vom Schwimmbad aus eine günstigere Verbindung nach Hause hatte, durfte sie nutzen. Davon profitierte vor allem Luca, der so nur ein paar Minuten Fußweg hatte, aber auch Emilia und Zara konnten mit dem Linienbus mehr als eine halbe Stunde früher zu Hause sein. Allerdings fuhr der ein paar Minuten eher als der zur Schule.

Als sie ihren Spind erreichte, blieb Emilia wie angewurzelt stehen. Die Tür war nur angelehnt! Wie konnte das sein? Sie hatte abgeschlossen, ganz sicher, an keinem Tag hätte sie mehr darauf geachtet, dass die Tür wirklich zu war, als heute, und Zara hatte es auch gesehen. Den Schlüssel hielt sie in der Hand, er war die ganze Zeit an ihrem Handgelenk gewesen, bis sie ihn auf dem Weg von der Dusche in die Umkleide abgemacht hatte.

Mit zitternden Händen zog sie die Tür ganz auf. Ihr Portemonnaie war noch da, aber es lag oben auf dem Stapel mit ihren und Zaras Sachen. Dabei war sie ganz sicher, dass sie es in die Jackentasche geschoben und den Reißverschluss zugezogen hatte. Als sie es in die Hand nahm, spürte sie auch sofort, dass es viel dünner und leichter war als vorhin: Das Geld war weg.

Ihr entsetzter Aufschrei hallte von den gefliesten Wänden wider. Neben ihr zuckte Zara zusammen. Sie stand so, dass sie nicht ins Fach hineinsehen konnte, aber sie hatte gesehen, dass Emilia die Tür geöffnet hatte, ohne vorher aufschließen zu müssen. Der Rest lag auf der Hand, und der Aufschrei ihrer besten Freundin war nur die Bestätigung.

Emilia begann, das Fach zu durchwühlen, obwohl klar war, dass sie das Geld nicht finden würde. Der Spind war geöffnet worden, jemand hatte das Portemonnaie gefunden und restlos geleert, daran gab es nichts zu rütteln.

Nach ein paar Sekunden nahm Zara sie bei den Schultern und zog sie sanft ein Stück von den Spinden weg. „Lass!“, sagte sie sanft. Sie war selbst erschrocken, versuchte aber, die Ruhe zu bewahren. Das sagte ihre Mutter auch immer: durchatmen und sich die nächsten Schritte zurechtlegen.

Im ersten Moment wollte Emilia sich losreißen, dann gab sie nach. Tränen liefen ihr über die Wangen, sie würde einen Riesenärger bekommen!

„Was ist los?“, fragte Nadja, die mit Antonia hereingekommen war. „Ist was passiert?“ „Das Geld ist weg“, erklärte Emilia mit erstickter Stimme. „Jemand hat den Schrank geknackt“, fügte Zara hinzu.

Nadja erschrak und schaute rasch, ob ihr eigener Spind womöglich auch betroffen war. Aber der war fest verschlossen, ebenso Antonias. Nur Emilias und Zaras Spind war geöffnet worden, alle anderen waren entweder nach wie vor verschlossen oder leer.