Wie jedes Jahr an Halloween ziehen die Kinder aus Charlies Viertel durch die Straßen und fordern „Süßes oder Saures!“ Alles kein Problem, solange sie nicht über die Stränge schlagen, und gegen die ganz Uneinsichtigen hilft es, einen Vater zu haben, der mit seiner stattlichen Figur auch die größten Großmäuler beeindruckt. Doch in diesem Jahr ist Charlie allein zu Hause, eine gute Gelegenheit für den größten Rüpel von allen, sich endlich auch hier seinen Anteil zu holen, und eine geschlossene Tür hält den Strammen Max nicht lange auf.
Storieboard
Charlotte, von allen, die sie kannten, Charlie genannt, hörte das Klingeln an der Tür, machte aber keine Anstalten, hinzugehen und aufzumachen. Sie hatte kurz durchs Fenster im ersten Stock gespäht, aber auch ohne diesen heimlichen Blick nach draußen hätte sie gewusst, wer auf dem kurzen Weg durch den Vorgarten stand, und deshalb blieb die Tür zu.
Es war der Halloween-Abend und schon deutlich nach acht Uhr, aber immer noch zogen Kinder durchs Viertel, um mit ihrem „Süßes oder Saures!“ Naschzeug und manchmal auch einen Zuschuss zum Taschengeld zu erlangen. Manche gingen allein oder zu zweit von Haus zu Haus, andere in kleinen Grüppchen, einige waren zurückhaltend, fast schüchtern, andere traten lauter auf und forderten die Gaben für ihr Säckel nachdrücklicher ein.
Am wildesten trieb es wie immer in den letzten Jahren die Bande um den Strammen Max. Der Stramme Max, eigentlich natürlich nur Max, war zwölf, genau wie Charlie, und in der Nachbarschaft als Rüpel bekannt. Er war ziemlich groß, stark und nicht ganz schlank, was ihm den Spitznamen eingetragen hatte, den er mit Stolz trug, beschrieb der Name doch seiner Meinung nach seine Kraft und Gewandtheit. Dass andere Leute unter einem Strammen Max ein schlichtes Würstchen verstanden, wusste er nicht, und es hatte ihm auch noch niemand zu sagen gewagt.
Mit schöner Regelmäßigkeit gab es Beschwerden bei seinen Eltern, weil er andere Kinder terrorisierte, aber seine Mutter wies den Gedanken, ihr lieber Sohn könnte einen Streit angefangen haben, jedes Mal weit von sich, und sein Vater meinte, dass Kinder ihre Meinungsverschiedenheiten unter sich ausmachen sollten und die eine oder andere Rauferei zum Erwachsenwerden dazugehörte. Dass der Stramme Max sich nur dann prügelte, wenn er von vornherein wusste, dass sein Opfer deutlich schwächer war als er selbst, interessierte den Vater ganz offensichtlich nicht.
An Halloween mussten alle Kinder tunlichst darauf achten, dass sie dem Strammen Max und seiner Bande von vier anderen Jungen aus dem Weg gingen. Bis jetzt war er noch nicht so weit gegangen, anderen die gesammelten Süßigkeiten zu rauben, aber wenn er andere Kinder vor einem Haus antraf, an dem er selbst gerade klingeln wollte, dann vertrieb er sie lautstark und, wenn sie nicht schnell genug das Weite suchten, auch handgreiflich.
Dass der Stramme Max und seine Bande es nicht bei der Drohung beließen, wenn sie an einer Tür klingelten und Süßigkeiten forderten, verstand sich da von selbst. Wenn jemand zu wenig gab oder gar die Stirn besaß, den Strammen Max ohne Gabe wegzuschicken, dann flogen nicht nur Eier, die die Bande früh genug den Eltern abschwatzte, um sie bis Halloween so richtig schön faul werden zu lassen, da fiel dann auch schon mal ein Blumentopf vom Fenstersims oder einer aus der Bande absichtlich unabsichtlich in die Hecke, so dass die Sträucher unrettbar abgeknickt wurden.