Autorenseite René Bote

Freundschaft aus der Küche

Cover des Buchs Freundschaft aus der Küche
26. Mai 2015
21
978-3734798306
Books on Demand

Es ist nicht leicht, in einer neuen Klasse in einer neuen Stadt Fuß zu fassen, aber besonders schwer wird es, wenn die Wortführer in der Klasse sofort einen Stempel setzen. Pauline bekommt gleich am ersten Tag das Etikett „arm“ angeheftet und ist damit untendurch, obwohl sie niemandem etwas getan hat. Doch Freundschaft geht bekanntermaßen durch den Magen, und in der Küche macht Pauline so schnell niemand was vor…

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Das Buch gehört zur Serie Freundschaft aus der Küche

Autorenplauderei

Auch wenn ich in erste Linie unterhalten möchte, enthält das Buch doch eine Botschaft: Wir wären wahrscheinlich alle ein ganzes Stück besser dran, wenn wir Menschen nicht nach dem beurteilen, was sie besitzen, sondern nach dem, was sie sind.

1. Leseprobe (Buchanfang)

Pauline wappnete sich: Für den ersten Tag in der neuen Schule, die erste Begegnung mit ihren neuen Klassenkameraden, die erste Fahrt durch eine Stadt, die sie bislang nur aus den Erzählungen ihrer Mutter, ein paar Fotos und den Informationen kannte, die sie hastig im Internet zusammengesucht hatte, als ihr Leben von einem Tag auf den anderen völlig auf den Kopf gestellt worden war.

So lange sie denken konnte, hatte sie mit ihrer Mutter in Hamburg gelebt, zu zweit in einer kleinen Wohnung in der Nähe des Hauptbahnhofs. An ihren Vater konnte sie sich kaum noch entsinnen, sie war zweieinhalb gewesen, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, und wusste nicht viel mehr über ihn, als dass er als Fernfahrer arbeitete und ihre Mutter kennengelernt hatte, als er Waren für die Firma transportiert hatte, in der sie damals gearbeitet hatte. Sie hatten sich zusammen in Hamburg niedergelassen, wo er herkam, und eine Tochter bekommen, doch als Pauline vor etwas weniger als zwölf Jahren zur Welt gekommen war, da musste es wohl schon gekriselt haben, und bald darauf war es endgültig aus gewesen.

Pauline wusste, dass es nicht immer leicht gewesen war für ihre Mutter, allein mit einem kleinen Kind, sie hatte früh mithelfen müssen, und Geld war nie im Überfluss vorhanden gewesen, aber sie hatte nichts vermisst, weil sie damit aufgewachsen war, weil ihre Mutter es ihr trotzdem an nichts hatte fehlen lassen, und weil sie Freundinnen gehabt hatte, denen es egal gewesen war, dass sie nicht immer das Neuste vom Neusten hatte, dass sie sich nicht jedes Wochenende einen kostspieligen Ausflug leisten konnte, Freundinnen, die sie von klein auf kannten. Freundinnen, die sie bestärkt hatten und wie eine Schutzmauer gewesen waren, wenn sie verspottet worden war, weil sie eben nicht den teuren Marken-Wasserfarbkasten hatte, nicht den Marken-Tornister. Freundinnen, die sich nicht beschwert hatten, wenn sie früher nach Hause ging, weil sie noch einkaufen musste, Freundinnen, die einfach Freundinnen waren.

Doch jetzt war innerhalb weniger Tage alles anders geworden, eine Bekannte aus der alten Heimat, eine der wenigen, zu der der Kontakt nicht abgerissen war, hatte Paulines Mutter eine neue Stelle vermittelt, eine, die etwas besser bezahlt wurde, mehr mit dem Beruf zu tun hatte, den Paulines Mutter ursprünglich gelernt hatte, und die langfristig sicher schien. Klar, dass Paulines Mutter da nicht lange überlegt hatte, obwohl sie wusste, was sie ihrer Tochter damit zumutete, und es war ja auch nicht so, dass Pauline es nicht verstanden hätte. Trotzdem hatte der Abschied wehgetan, Pauline hatte Rotz und Wasser geheult, als sie sich am Freitag nach der letzten Stunde in ihrer alten Schule von ihren Freundinnen verabschiedet hatte, und jetzt krampfte sie auf dem Weg zur Bushaltestelle in der Hosentasche die Hand um den kleinen Plüschbären, den Nina, die beste Freundin von allen, ihr als Glücksbringer mit auf den Weg ins Ruhrgebiet gegeben hatte, das nun ihre neue Heimat werden sollte.

2. Leseprobe

Zwei Minuten später war es soweit: Pauline stand vor der Tür von Bioraum I und damit endgültig unmittelbar vor der ersten Begegnung mit ihrer neuen Klasse. Nun würde es noch schlimmer kommen, als sie ohnehin schon befürchtet hatte, sie kam zu spät, was sie doch unbedingt hatte vermeiden wollen. Sie klopfte, eine weibliche Stimme rief „Ja!“, und Pauline betrat den Unterrichtsraum.

Die Szene ähnelte ihrem Auftritt in der 6d kurz zuvor, achtzehn Augenpaare plus Lehrerin starrten sie an. Pauline fühlte ihr Herz bis hoch in den Hals klopfen, während sie die Tür hinter sich schloss und einen Schritt auf die Lehrerin zu machte, eine ältliche Person in einem grauen Kostüm. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, erst mal einen guten Morgen zu wünschen. „Ich bin Pauline Franke.“ stellte sie sich dann vor. „Ich soll ab heute hier in die Klasse gehen.“

Die Lehrerin schien davon nichts gewusst zu haben. „Hm.“ machte sie. „Ich wusste gar nicht, dass wir Zuwachs bekommen!“ „Es musste alles ganz schnell gehen.“ versuchte Pauline zu erklären. „Meine Mutter hat eine neue Stelle bekommen, ich hab vorher in Hamburg gewohnt.“ Irgendwie fühlte sie sich schuldig, obwohl sie doch nun wirklich weder was dafür konnte, dass die Sekretärin ihrer Mutter den falschen Raum genannt hatte, noch dafür, dass offenbar auch versäumt worden war, die Lehrer zu informieren. Hoffentlich wusste wenigstens der Klassenlehrer Bescheid! Ein Herr Pertel sollte das sein, und die Klasse hatte Englisch bei ihm, mehr wusste Pauline noch nicht über ihn.

Die Biolehrerin fasste sich, hieß Pauline willkommen und teilte sie dann einer der fünf Gruppen zu, die gerade einen Versuch am lebenden Goldfisch machten. „Mach einfach mal mit, Anna, Maike und Estefania können dir nebenbei erklären, worum es geht.“

Die Aussicht schien den drei Genannten so gut zu gefallen wie Bauchweh, aber es sah so aus, als wüssten sie, dass es zwecklos war, aufzubegehren. Sie waren eine von zwei Dreiergruppen, die andere bestand ausschließlich aus Jungs, es war also logisch, dass Pauline hier zugeteilt wurde. Pauline trat an den Tisch, stellte ihren Rucksack, der nicht mehr als Schreibzeug, Pausenbrot und etwas zu trinken enthielt, auf dem Boden ab, und begrüßte ihre drei neuen Klassenkameradinnen mit einem freundlichen „Hi. Ich bin Pauline.“ „Anna.“ antwortete ein hoch gewachsenes Mädchen mit goldblondem Haar und knallroter Bemalung auf den Lippen einsilbig. Sie war bestimmt noch eine Handbreit größer als Pauline, die auch nicht eben klein war für ihr Alter, und offensichtlich die Anführerin des Trios. Maike wirkte neben ihr wie ein Grundschulkind, versuchte aber mit einem frechen Fransenschnitt, Ohrgehängen und nachgezogenen Augenbrauen, sich älter zu machen. Estefania war etwas vollschlank und versuchte es unter einem poppigen T-Shirt zu verbergen. Sie sagte kein Wort, meinte wohl, da zwei ihren Namen genannt hatten, wäre ihrer ja auch so klar.

Auf eine Erklärung, was hier gerade mit den Fischen gemacht wurde, konnte Pauline lange warten, die drei Schönheiten hatten ganz offensichtlich keinen Bock, auch nur ein Wort mehr als unbedingt nötig mit der Neuen zu wechseln, die die Lehrerin ihnen aufs Auge gedrückt hatte. Zum Glück erkannte sie auch so, worum es bei diesem Experiment ging, den Fischen wurde eingefärbtes Wasser vor die Mäuler geträufelt, um den Weg des Wassers bei der Kiemenatmung anschaulich darzustellen. Gut, dass sie die in ihrer alten Schule schon durchgenommen hatten!