Als ihm im Bus das Handy aus der Tasche rutscht, hat Levin Glück im Unglück. Svenja aus seiner Klasse, die noch weiter fahren muss, sieht es auf dem Sitz liegen und nimmt es an sich. Aber warum ist Levin so erpicht darauf, das Handy so schnell zurückzubekommen, dass er nicht mal warten will, bis er später am Nachmittag auf dem Weg zum Training eh bei Svenja vorbeikommt? Dass er sonst nicht erreichbar ist, wenn das Training ausfällt, hält Svenja jedenfalls für eine wenig überzeugenden Ausrede. Ihre Neugier ist geweckt, aber zur Detektivin taugt sie nur bedingt. Ihr Versuch, unauffällig die Augen offen zu halten, entwickelt sich zu einem Lauf von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen, und sie begreift, dass sie ganz schnell die Kurve kriegen muss, wenn sie nicht die Freundschaft zerstören will.
Autorenplauderei: Geschichte aus dem Alltag
Diese Kurzgeschichte stammt mal wieder direkt aus dem Alltag. Die Anfangsszene mit dem Fund des Handys hat sich genau so zugetragen, wie sie beschrieben ist, und die Dialoge sind zwar erdacht, könnten aber tatsächlich so oder ähnlich gesprochen worden sein.
Als Svenja es sah, war es schon zu spät. Levin war schon ausgestiegen, und selbst wenn er ihren Ruf gehört hätte, hätte es nichts mehr genutzt. Eben übertönte ein durchdringender Warnton den allgemeinen Lärm, und im nächsten Moment schlugen die Türen zu. Der Bus fuhr an, und Levin überquerte die Straße, nicht ahnend, dass ihm etwas Wichtiges abhandengekommen war. Sein Handy lag auf dem Sitz, auf dem er gesessen hatte.
Svenja und Levin gingen in die gleiche Klasse, eine der fünften des Fichte-Gymnasiums. Weil sie auch nicht weit voneinander entfernt wohnten, saßen sie im Bus meistens zusammen, gemeinsam mit Hanna und Dominik aus der Parallelklasse. Hanna musste eine Haltestestelle vor Levin raus, Dominik fuhr bis zur Endstelle.
Dominik hatte das Handy auch bemerkt, allerdings einen Augenblick nach Svenja. Das erkennen und seinen Arm, der sich danach streckte, zur Seite schieben waren eins. Svenja schloss die Hand um das Gerät und holte es zu sich. „Gib’s mir!“, forderte Dominik. „Ich geb’s ihm nachher beim Training.“ Dominik und Levin waren im gleichen Fußballverein, fiel Svenja ein, allerdings nicht in der gleichen Mannschaft, wenn sie sich richtig erinnerte. Dominik gehörte zu den Jüngeren in der Klasse, er war erst zu Beginn dieses Jahres elf geworden und durfte noch in der E-Jugend spielen. Levin hatte dagegen schon im Herbst Geburtstag gehabt und deshalb schon im Sommer in die D-Jugend wechseln müssen. „Wir trainieren aber zur gleichen Zeit“, beantwortete Dominik ihre entsprechende Frage. „Ich kann’s ihm vor dem Training geben.“
Damit wäre Svenja leicht aus der Sache raus gewesen. Doch irgendwas in ihr sträubte sich dagegen, das Handy, das ihr nicht gehörte, aus der Hand zu geben, außer an seinen rechtmäßigen Besitzer. Sie konnte nicht mal sagen, warum, sie hatte einfach ein schlechtes Gefühl dabei. An Dominik als Person konnte es eigentlich nicht liegen, er war keiner, dem man zutrauen musste, das Handy beschädigt oder gar nicht zurückzugeben. „Ich mach schon!“, sagte sie deshalb. „Dann bekommt er’s ja erst morgen früh wieder“, wandte Dominik ein. „Wenn ich’s mit zum Training nehme, dann hat er’s heute Nachmittag schon wieder.“ „Und bis dahin sucht er verzweifelt sein Handy und fährt vielleicht sogar in die Stadt zum Fundbüro“, gab Svenja zurück. „Ich ruf ihn an, wenn ich zu Hause bin, dann weiß er wenigstens Bescheid. Du bist noch viel länger unterwegs. Wenn er’s wirklich dringend braucht, kann er sich’s ja bei mir abholen.“ Gut, dass ihr das eingefallen war!
Dominik schien nach wie vor nicht einverstanden zu sein, die Sache mit dem Handy ihr zu überlassen. Aber ihm gingen die Argumente aus; er hätte höchstens noch vorschlagen können, dass er das Handy nahm und Svenja Levin Bescheid sagte, dass er es beim Training wiederbekommen würde. Doch das hätte sich allenfalls lächerlich angehört, also schwieg er, als Svenja das Handy in ihren Rucksack steckte.