Dass sie sich mal für Computer und Programmierung interessieren würde, hätte Emily selbst nicht gedacht. Schuld daran ist auch nicht Arthur, ihr Bruder, der sie in die Informatik-AG der Schule geschleppt hat, sondern Laurin. Er zeigt ihr, wie sie dem Computer beibringen kann, was sie von ihm will, doch je mehr sie ihn kennenlernt, desto weniger hat es mit Bit und Byte zu tun, wenn sie an ihn denkt.
Als sie merkt, dass Laurin andere Vorlieben hat, ist Emily am Boden zerstört. Gut, dass sie ihre Freundinnen hat! Doch irgendwie übertreiben Alva und Faustina, jede auf ihre Art, und Emily braucht schnell einen Plan, ehe die beiden in bester Absicht alles noch schlimmer machen.
Emily nahm ihr Handy in die Hand und begann, eine Nachricht zu tippen. Doch nach dem zweiten Satz brach sie ab, löschte das Geschriebene wieder und legte das Gerät zurück auf den Tisch.
Es war schon der vierte oder fünfte Versuch. Falls ihre Mutter mal zu ihr rausschaute auf die Terrasse, dann dachte sie wahrscheinlich, Emily würde mit ihren Freundinnen schreiben. Doch Faustina und Alva hatten keine Ahnung, Emily hatte ihr Geheimnis sorgsam gehütet: Sie war verliebt.
Warum sie ihren Freundinnen nichts gesagt hatte, wusste sie selbst nicht so genau. Normalerweise konnte sie mit den beiden über alles reden, wirklich über alles. Es wäre auch nicht der erste Schwarm gewesen, von dem sie ihnen erzählte, und umgekehrt war sie immer auf dem Laufenden, wer gerade Faustinas oder Alvas Herz schneller schlagen ließ. Warum diesmal alles anders war, wusste sie nicht.
Laurin ging auf ihre Schule, er war in der Neunten. Emily war zwar nur einen Jahrgang unter ihm, aber trotzdem fast zwei Jahre jünger als er. Er gehörte zu den Ältesten in seiner Klasse, Emily war zwei Tage vor dem Stichtag geboren und damit die Jüngste in ihrer Jahrgangsstufe.
Kennengelernt hatte sie ihn vor zwei Wochen, als ihr Bruder sie mitgeschleppt hatte in die Informatik-AG. Eigentlich hatte Emily keine rechte Lust darauf gehabt, aber Arthur hatte einfach nicht lockergelassen. Ihm war die AG unheimlich wichtig, aber die Schulleitung drohte, sie zu schließen. Es waren zu wenig Leute, eine größere Clique hatte im Sommer Abitur gemacht, und ein paar andere waren seitdem aus unterschiedlichen Gründen abgesprungen. Die, die geblieben waren, versuchten händeringend, Nachwuchs zu finden, und Emily hatte sich breitschlagen lassen. Sie war nicht ernsthaft davon ausgegangen, dass sie dabeibleiben würde, einfach mal gucken, zwei- oder dreimal mitmachen, hatte sie sich gesagt. Dann würde sie guten Gewissens sagen können, dass die AG nichts für sie war, und Arthur würde einsehen, dass er sie damit in Ruhe lassen sollte.
Doch dann war es völlig anders gekommen, und das lag wirklich nur an Laurin. Wie es genau dazu gekommen war, wusste Emily gar nicht, vielleicht hatte er gemerkt, dass sie kein Wort von dem verstanden hatte, was Arthur ihr zu erklären versucht hatte. An was für einem Projekt Arthur arbeitete, wusste sie bis heute nicht, aber dafür hatte Laurin ihr geduldig gezeigt, wo beim Computer überhaupt oben und unten war. Okay, das war übertrieben, bedienen konnte sie einen Computer schon, aber er hatte ihr die Grundzüge der Programmierung gezeigt. Mit seiner Hilfe hatte sie ihr erstes kleines Programm geschrieben, und sie war stolz darauf, dass sie das geschafft hatte. Man konnte wohl sagen, dass sie Blut geleckt hatte, und Arthur brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen, dass sie die AG bald wieder verlassen würde.
Allerdings hatte sie nicht nur am Programmieren Gefallen gefunden. Auch Laurin gefiel ihr immer mehr, je besser sie ihn kennenlernte. Wenn sie gemeinsam am Rechner saßen, dann kamen sie leicht ins Quatschen, und längst nicht nur über Fachliches. So wusste Emily inzwischen, wo Laurin wohnte, dass er einen Bruder und einen Halbbruder hatte, dass er Bouldern ging, und dass sein Lieblingsfach Englisch war. Umgekehrt hatte sie auch von sich erzählt, und sie hatte nicht das Gefühl, dass er nur zuhörte, um sie zum Wohle der AG bei Laune zu halten.
Genau deshalb rang sie jetzt mit sich, ob sie ihm schreiben sollte oder nicht. Sie wollte ihm vorschlagen, dass sie sich einfach mal privat treffen sollten, sie wusste nur noch nicht, wie sie ihm das sagen sollte. Eigentlich fand sie es besser, ihn von Angesicht zu Angesicht zu fragen, aber was, wenn sie sich dann nicht traute? Wenn sie anfing, zu stottern, oder auf ein anderes, belangloses Thema auswich? Wenn sie sich umdrehte und wegrannte, ohne etwas zu sagen?
Das konnte ihr bei einer Textnachricht auf dem Handy nicht passieren. Die konnte sie in Ruhe formulieren, noch mal Korrektur lesen und dann auf die Antwort warten. Doch das war natürlich auch sehr unpersönlich, und musste Laurin sie nicht für feige halten, wenn sie schrieb, statt ihn direkt zu fragen?
Außerdem hatte Emily Angst, dass die Nachricht jemand anderem in die Hände fallen könnte, jemandem, der sie überall rumposaunte. Die Erfahrung hatte Faustina machen müssen: Ihr erster Freund hatte nach der Trennung Nachrichten, die sie ihm geschickt hatte, während sie mit ihm zusammen gewesen war, bei seinen Freunden herumgezeigt und sich gemeinsam mit ihnen darüber lustig gemacht. Emily war überzeugt, dass Laurin das niemals tun würde, denn wenn sie ihm das zugetraut hätte, dann hätte sie sich bestimmt nicht in ihn verliebt. Aber was, wenn er einem Freund irgendwas anderes auf seinem Handy zeigen wollte, und ihre Nachricht war zufällig zu sehen? Wenn sie vielleicht in dem Moment aufploppte, wo jemand anderes mit auf sein Handy schaute?
Nein, entschied Emily, sie musste es ihm persönlich sagen, sonst würde die Sorge, wer die Nachricht unbefugt zu lesen bekam, sie vielleicht noch wochenlang begleiten. Sie würde sich zurechtlegen, was sie sagen würde, vielleicht vor dem Spiegel üben, und sich für verschiedene Reaktionen wappnen. Dafür hatte sie einen ganzen Abend Zeit, und das würde hoffentlich reichen. Theoretisch hätte sie sich auch mehr Zeit nehmen können, es lag ja an ihr, wann sie Laurin ansprach, aber noch länger warten wollte sie einfach nicht.