Autorenseite René Bote

Gutschein für dein Herz

Cover des Buchs Gutschein für dein Herz
8. August 2022
62
978-3756208913
Books on Demand

Jona­than hat sich schon mal mehr auf die Sommer­ferien gefreut – worauf auch, wenn alle Freunde weg­fahren, und er bleibt zu Hause? Die groߟe Lange­weile droht, doch seine Eltern haben die Idee, wie daraus die groߟe Frei­heit wird. Ein kleines Mit­bring­sel öffnet Jona­than viele Türen, und seine Eltern wissen auch, mit wem er sich zusam­mentun kann für seine Aus­flüge. Jona­than kennt Hannah schon lange, doch so richtig lernt er sie jetzt erst kennen, wo sie mehr Zeit zusam­men verbrin­gen als jemals zuvor. Aber er kann nicht ein­schät­zen, was sie von ihm denkt, und was er mit ihr erlebt, schickt ihn in ein Wechsel­bad der Gefühle.

E-Book €0,99

Jonathan hatte sich schon mal mehr auf die Ferien gefreut als in diesem Sommer. Dabei waren eigentlich alle Voraussetzungen für tolle Sommerferien gegeben: viel freie Zeit, niemand, der ihm reinredete, was er machen sollte, und selbst das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Es war meistens sonnig, aber die Temperaturen waren nicht so hoch wie in den beiden Vorjahren, die schon ab Juni unglaublich heiß gewesen waren. Es war warm genug fürs Freibad, aber nicht so heiß, dass einem bei jeder Bewegung außerhalb des Wassers gleich wieder der Schweiß in Strömen übers Gesicht floss.

Doch was nutzte das alles, wenn es nichts gab, worauf man sich wirklich freuen konnte? Die geplante Urlaubsreise, drei Wochen Dänemark, hatten seine Eltern notgedrungen abgesagt, weil seine Mutter auf der Arbeit nicht abkömmlich war. Ihre langjährige Kollegin, der es ziemlich gleich gewesen war, wann sie ihren Urlaub nahm, war in Rente gegangen, die Nachfolgerin war deutlich jünger und hatte zwei Kinder im Grundschulalter. Der Chef hatte abwägen müssen – die neue Kollegin war alleinerziehend, Jonathans Mutter dagegen verheiratet und ihr einziges Kind schon fast dreizehn. Deshalb hatte Jonathans Mutter bei der Urlaubsplanung diesmal zurückstecken müssen und konnte ihren Urlaub nicht in den Sommerferien nehmen.

Dass Jonathan wenig Lust hatte, ersatzweise zu den Großeltern ins Münsterland zu fahren, war seinen Eltern von vornherein klar gewesen. Er mochte Oma und Opa, kannte aber sonst niemanden dort, und die Wege wären noch weiter gewesen, wenn er etwas hätte unternehmen wollen.

Auch nach einer Ferienfreizeit hatten Jonathans Eltern geschaut, aber nichts Passendes mehr gefunden. Jonathan war dafür anscheinend in einem ungünstigen Alter: für Jugendfreizeiten zu jung, meist lag die Untergrenze bei 14 Jahren, für eine Kinderfreizeit aber wiederum zu alt. Da hätte er dann zu den Ältesten gehört, die gerade noch mit durften, und er hatte keinen Bock auf Programm, Hausregeln und Schlafenszeiten, die hauptsächlich auf Neun- und Zehnjährige zugeschnitten waren. Außerdem gab es nicht so viele seriöse und gleichzeitig bezahlbare Anbieter, und bei denen waren die Plätze natürlich ruckzuck ausgebucht.

Aber man konnte auch zu Hause eine Menge erleben, und Jonathan hatte genug Fantasie, um sich sein eigenes Ferienprogramm zusammenzustellen. Dass er nicht verreisen konnte, wäre also vielleicht halb so schlimm gewesen – wäre er nicht der Einzige gewesen. All seine Freunde würden wegfahren, die hatten ihre Ferien so verplant, dass es in den ganzen sechseinhalb Wochen kaum einen Tag geben würde, wo mal der eine oder andere da war. Yunus war gleich am letzten Schultag mit Eltern und Schwestern zum Familienbesuch in die Türkei geflogen. Elias, dessen Eltern geschieden waren, würde die erste Ferienhälfte bei seinem Vater verbringen und dann mit seiner Mutter verreisen. Jannis war gleich zu zwei Freizeiten angemeldet und würde dazwischen nur ein paar Tage zu Hause sein. Selbst die weniger engen Freunde, mit denen Jonathan sich nicht so oft traf, waren alle ausgeflogen.

***

Der Situation entsprechend war Jonathans Laune am ersten Ferientag ausbaufähig. Er muffelte nicht rum, man konnte aber auch nicht behaupten, dass er enthusiastisch auf die freie Zeit schaute, die vor ihm lag. Was er an diesem Tag machen wollte, hatte er noch nicht entschieden. Vielleicht würde er ins Freibad fahren, wenn er Glück hatte, traf er dort jemanden, den er kannte.

Als er zum Frühstück in die Küche kam, war sein Vater schon auf dem Weg zur Arbeit. Seine Mutter war ebenfalls auf dem Sprung, hatte aber noch Zeit, ihm zwei oder drei Minuten Gesellschaft zu leisten.

Sie erkundigte sich, was er vorhatte, und Jonathan erzählte wahrheitsgemäß, dass er es noch nicht genau wusste. Er jammerte nicht, denn dass seine Freunde alle weg waren, wusste seine Mutter, und er wusste, dass sie nichts für die Situation konnte.

Nachdem sie sich verabschiedet hatte, beschloss er, tatsächlich ins Freibad zu fahren. Er ließ sich Zeit, obwohl er wusste, dass das Bad schon sehr früh geöffnet hatte, denn jetzt um kurz nach acht zogen da bloß Rentner ihre Bahnen. Er hatte nichts gegen Rentner, aber als einziger Schüler unter lauter älteren Leuten fühlte er sich doch als Fremdkörper.

Als er schließlich das Freibad erreichte, war die Anzahl der Besucher schon deutlich gestiegen und der Altersschnitt erheblich gesunken. Überfüllt war der Laden aber noch nicht, Jonathan fand am Fahrradständer einen freien Platz, musste weder an der Kasse, noch bei den Umkleiden anstehen, und freie Spinde waren auch noch genug da. Das würde später sicherlich anders sein, Jonathan schätzte, dass das Bad ab mittags gesteckt voll sein würde.

Er erreichte die Liegewiese und ließ den Blick schweifen. Irgendjemand da, den er kannte? So halb, ein paar Gesichter waren ihm nicht neu, aber es war niemand darunter, mit dem er näher zu tun hatte. Die Ersten, die ihm auffielen, waren drei Mädchen aus seiner Schule, sie waren im Jahrgang unter ihm, würden also nach den Ferien in die Sechste kommen. Er sah sie öfter auf dem Schulhof, eine von ihnen war auch schwer zu übersehen mit ihrem feuerroten Haar, aber er konnte sich nicht entsinnen, je ein Wort mit ihnen gewechselt zu haben. Eine Mutter, die mit zwei kleinen Kindern da war, wohnte irgendwo in der Parallelstraße, zwei Jungs sah er regelmäßig im Bus, wenn er morgens zur Schule fuhr.

Irgendeine dieser höchst flüchtigen Bekanntschaften anzusprechen, schien ihm unsinnig. Also suchte Jonathan sich einen Platz für sein Badetuch und machte sich dann allein auf den Weg zum Sprungturm. Ein paar Sprünge vom Dreier konnte er auch üben, ohne dass ihn jemand anfeuerte, und jetzt lohnte es sich wenigstens noch. Später würden sich dort lange Schlangen bilden, weil mehr Leute springen wollten und gleichzeitig jeder Einzelne länger warten musste, bis der Bademeister sicher war, dass unten freie Bahn war.

***

Am späten Nachmittag packte Jonathan seine Sachen zusammen, um nach Hause zu fahren. Erst dabei bemerkte er, dass seine Mutter versucht hatte, ihn anzurufen, zweimal sogar. Es wunderte ihn, denn sie musste sich doch eigentlich denken können, dass er das nicht mitbekommen würde. Natürlich hatte er sein Handy im Spind eingeschlossen, zusammen mit seinem Portemonnaie. Hätte er es auf seinem Badetuch liegen lassen, wäre es doch unter Garantie gestohlen worden.

Es schien aber auch nicht dringend zu sein. Nach dem zweiten Anruf hatte seine Mutter ihm eine Nachricht geschickt und angefragt, ob er etwas früher zurückkommen würde. „Hannah kommt zum Essen rüber“, schrieb sie. „Wäre schön, wenn du da bist, wenn sie kommt, aber sie wusste selbst noch nicht genau, wann sie kommt, und ich hab ihr gesagt, dass du im Schwimmbad bist und die Nachricht vielleicht nicht siehst.“