Diese Geschichte ist ein Ratekrimi. Also aufgepasst, am Ende gibt es eine Frage zu beantworten. Findest du die Lösung?
Die Sommerferien näherten sich dem Ende, und das neue Schuljahr warf deutlich seine Schatten voraus. Wer noch nicht alle Bücher, Hefte und Stifte zusammen hatte, tat gut daran, sich bald darum zu kümmern.
Auch Anette und Felicitas, beide elf Jahre alt, Cousinen und beste Freundinnen zugleich, hatte noch Posten offen auf ihrer Liste. Die Bücher, die sie nicht leihweise von der Schule zur Verfügung bestellt bekamen, hatten sie schon, aber ihnen fehlten noch Hefte für die Klassenarbeiten und ein Zeichenblock für Kunst. Annette musste außerdem ihren Wasserfarbkasten ersetzen, der alte war vor den Ferien der Toberei der Jungs in der Klasse zum Opfer gefallen. Zwei von denen hatten sich im Klassenraum eine Verfolgungsjagd geliefert, der erste hatte im Vorbeilaufen – wohl unabsichtlich – den Kasten vom Tisch gerissen, der zweite war draufgetreten.
Das war alles nichts Besonderes, nichts, was nur ein spezialisiertes Schreibwarengeschäft gehabt hätte. Die Hefte, Zeichenblöcke und den Farbkasten, den fast jeder in der Schule hatte, gab es überall, wo es überhaupt Schreibwaren gab. Deshalb machten Annette und Felicitas auf dem Heimweg vom Freibad einen kleinen Umweg zur Filiale einer Drogeriekette, um dort zu besorgen, was sie brauchten.
Die Schreibwaren waren ganz hinten im Laden, eingeklemmt zwischen Büchern, Hörspielen und Filmen links und Fotoartikeln und Unterhaltungselektronik rechts. Ein wirkliches Muster war dort nicht zu erkennen, digitale Wetterstationen lagen neben Headsets und Powerbanks, unten stapelten sich Fotorahmen. Ganz oben entdeckte Annette zwei Action-Cams, diese kleinen und robusten Geräte, die manche Leute beim Klettern, Skateboarden oder Skifahren am Helm hatten.
Während ihre Cousine sich um Hefte und Zeichenblöcke kümmerte, angelte Annette nach einem Wasserfarbkasten. Der lag ganz oben, gleich neben den Action-Cams, Annette musste sich auf die Zehenspitzen stellen und strecken. Dabei war sie nicht mal klein, ziemlich genau im Durchschnitt für ihr Alter.
Nach weniger als zwei Minuten hatten die Mädchen alles zusammen und machten sich auf den Weg zur Kasse. Doch der Gang vor ihnen war verstopft, blockiert von einer streng blickenden Frau in der Kleidung der Drogeriekette und einem Mann von etwa fünfzig Jahren, der einen Jungen mit offenbar überaus festem Griff am Oberarm hielt. Es tat dem Jungen, er konnte höchstens acht sein, sichtlich weh, weil wegen des Größenunterschieds der Arm nach oben und die Schulter in eine unnatürliche Haltung gezwungen wurde. Vor den Füßen des Jungen lag ein dunkler Rucksack, der weit offen stand, und der Mann hielt in der anderen Hand eine der Action-Cams, wie sie Annette eben oben auf dem Regal gesehen hatte. Offenbar war er ein Ladendetektiv und hatte einen Dieb geschnappt.
Das Publikum war der Angestellten – Felicitas entdeckte auf dem Namensschild, das an ihre Brust gepinnt war, unter dem Namen die Ergänzung „Filialleitung“ – augenscheinlich nicht recht. Aber sie konnte nicht verhindern, dass Annette und Felicitas aufschnappten, wie der Detektiv Bericht erstattete. „Die hier hat er hinten bei der Elektronik geklaut, ein schneller Griff ins Regal mit den Kameras und ab in den Rucksack“, behauptete der. „Bestimmt nicht sein erster Diebstahl, er hat sich schon ziemlich geschickt angestellt und wusste genau, was am teuersten ist. Ich bin natürlich geschult in so was, andere hätten nichts gemerkt.“
Annette stutzte, und ein Blick genügte ihr, um zu sehen, dass ihre Cousine denselben Gedanken hatte: An der Geschichte stimmte etwas nicht! Die Cousinen nickten einander kurz zu und traten dann entschlossen an das ungleiche Trio heran. „Er lügt“, stellte Annette fest, an die Filialleiterin gewandt. „Was er erzählt, kann gar nicht stimmen.“ „Was redest du für einen Unsinn!“, fuhr der Ladendetektiv auf, noch ehe die Chefin des Hauses etwas sagen konnte. „Seid ihr seine Komplizinnen? Schöne Kinderbande!“ „Nix Komplizinnen!“, versetzte Felicitas. „Aber wir benutzen unseren Verstand, und wir halten nicht die Klappe, wenn wir sehen, dass jemand ungerecht behandelt wird. Außerdem tun Sie dem Jungen weh.“ „Soll ich ihn loslassen, damit er abhauen kann?“, höhnte der Ladendetektiv. „Schön ausgedacht, aber nicht mit mir!“
Felicitas reichte es. „Ich hab keine Ahnung, warum Sie behaupten, er hätte geklaut“, sagte sie fest. „Aber das wird die Polizei schon klären. Rufen Sie sie an?“ Das galt der Filialleiterin. „Sonst mach ich’s!“
Die Frau machte mit beiden Händen eine dämpfende Handbewegung. „Am besten gehen wir erst mal ins Büro!“, schlug sie vor. Natürlich wollte sie Aufsehen vermeiden, umso mehr, als dass ihr Ladendetektiv gerade selbst beschuldigt wurde. Das selbstsichere Auftreten von Annette und Felicitas schien sie zusätzlich zu verunsichern, sie konnte ja nicht wissen, dass die beiden Mädchen nicht zum ersten Mal an Kriminelle gerieten.
„Wir warten lieber draußen“, wies Felicitas den Vorschlag zurück. Sie hatte keine Lust, dass die Filialleiterin versuchte, sie zu bequatschen, die Polizei aus dem Spiel zu lassen. Vor allem aber fürchtete sie, dass der Detektiv völlig aus der Rolle fallen würde, wenn die Situation dem Blick anderer Kunden entzogen war.
Weil die Filialleiterin keine Anstalten machte, die Polizei zu rufen, holte Annette ihr Handy aus der Tasche und wählte den Notruf. Dabei entfernte sie sich ein paar Schritte, weil sie nicht wollte, dass die Filialleiterin oder der Ladendetektiv dazwischenredete. Gerade der Detektiv hatte ein Interesse daran, dass die Polizei aus dem Spiel blieb, solange er nicht wusste, was Annette und Felicitas beobachtet hatten. Die beiden Cousinen wussten ihrerseits noch nicht genau, was seine Masche war, aber davon, dass er Dreck am Stecken hatte, waren sie überzeugt.
Die Polizei war zum Glück schnell mit einem Streifenwagen vor Ort, denn das Warten war unangenehm. Die Situation war für den Moment festgefahren, und die, die wieder Bewegung in die Sache hätten bringen können, schwiegen. Annette und Felicitas hatten den Eindruck, dass der Filialleiterin viel weniger an der Wahrheit gelegen war als daran, jedes Aufsehen zu vermeiden, und der Ladendetektiv wollte sich natürlich auch keine falsche Verdächtigung nachweisen lassen. Was das für den angeblichen Dieb bedeutete, war offensichtlich beiden egal, deshalb blieben Annette und Felicitas stur.
Als die beiden Polizisten die Filiale betraten, ergriff die Chefin die Initiative. Sie berichtete, dass der Ladendetektiv einen jungen Dieb auf frischer Tat ertappt hätte, und schilderte, wie der Vorfall abgelaufen sein sollte. Schließlich behauptete sie, dass sie die Sache gar nicht zur Anzeige hätte bringen wollen, und verwies auf Annette und Felicitas, die eigenmächtig die Polizei gerufen hätten.
„Ja, ich hab angerufen“, bestätigte Annette ohne Umschweife. Felicitas überließ ihr das Reden, sie hatte sich neben den Jungen gestellt, ihn in den Arm genommen und damit auch den Detektiv gezwungen, seinen Griff zu lockern. „So, wie er das erzählt hat“, dabei deutete Annette auf den Detektiv, „kann es nämlich gar nicht gewesen sein. Wir glauben, er lügt.“
Der offenbar ranghöhere oder dienstältere der beiden Polizisten kniff die Lippen zusammen. „Mit solchen Anschuldigungen muss man vorsichtig sein“, mahnte er. „Wieso seid ihr euch da so sicher?“
Weißt du, warum Annette und Felicitas dem Ladendetektiv kein Wort glauben?
Auflösung