Autorenseite René Bote

Die Bauchgrimmen-Alm

Cover des Buchs Die Bauchgrimmen-Alm
18. Dezember 2020
59
978-3752691566
Books on Demand

Nach dem Umzug in die süd­tiro­ler Alpen beginnt Emma sich wohlzu­fühlen in St. Vinzent. Mit Valen­tin hat sie den ersten Freund in der neuen Heimat ge­funden und erkun­det mit ihm zusam­men die Umge­bung. Ein Besuch auf der Alm seiner Tante endet jedoch mit einer bösen Über­raschung, und Valen­tin will einfach nicht glauben, dass seine Tante daran schuld ist. Zusammen mit Amelie, der Tochter der Dorf­ärztin, gehen Emma und Valen­tin auf Spuren­suche.

„Die Bauchgrimmen-Alm“ ist der zweite Band der Serie „Obocht, Emma!“ um ein Stadtkind, das es plötzlich nach Südtirol verschlägt.

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Das Buch gehört zur Serie Obocht, Emma!

Autorenplauderei: Genau hin­hören!

Der Serien­titel Obocht, Emma! ist mit­nichten ein Recht­schreib­fehler. Viel­mehr habe ich hier den Dialekt von Emmas neuer Heimat ein­fließen lassen. Irgend­wann wird Emma sich sicher­lich daran gewöh­nen, aber am Anfang würden Valen­tin und die anderen Kinder keine Geheim­sprache benö­tigen, falls sie Emma außen vor lassen wollten; sie müssten einfach nur so reden, wie ihnen der Schnabel gewach­sen ist, statt für Emma den Dialekt etwas zurückzu­nehmen.

Für Emma brach die dritte Woche eines ganz neuen Lebens an: Vor genau 15 Tagen war sie mit ihren Eltern nach Südtirol gezogen. Vorher hatte sie in Dortmund gewohnt, mitten in der Großstadt. Jetzt war ein kleines Dorf ihr Zuhause, und daran gewöhnt hatte sie sich noch nicht. Wie anders das alles war! Viel weniger Menschen, viel weniger Autos, keine Hochhäuser… St. Vinzent hatte nur ein paar Hundert Einwohner, und Emma kannte noch kaum einen davon.

Ihr Vater hatte sich einen Traum erfüllt. Er hatte Hutmacher gelernt, aber nie eine Arbeit in diesem Beruf gefunden. Seit Emma denken konnte, hatte er in einem Büro gearbeitet, weil er ja irgendwo Geld verdienen musste. In St. Vinzent hatte sich jedoch ein Hutmacher zur Ruhe gesetzt, und Emmas Eltern hatten die Chance genutzt. Sie hatten das Haus gekauft, und letzte Woche hatte Emmas Vater den Laden wieder eröffnet.

Auf der einen Seite fand Emma das schön. Sie hatte ein viel größeres Zimmer bekommen als vorher, sogar ein eigener Balkon gehörte dazu! Und hinter dem Haus gab es eine große Wiese, auf der sie spielen konnte. Das war schon klasse, wirklich. Aber auf der anderen Seite hatte sie auch viel zurücklassen müssen, ihre Freunde fehlten ihr, besonders ihre beste Freundin Mia. Früher hatte Emma an jedem Wochenende bei Mia übernachtet, oder Mia bei ihr, aber jetzt war es schon das dritte Wochenende, an dem sie sich nicht sehen würden. Sie telefonierten miteinander und schickten sich Nachrichten, aber das war kein echter Ersatz. Erst in den Herbstferien würde Mia zu Besuch kommen können, das waren noch fast vier Monate!

In vielen Dingen musste Emma sich umstellen. Zum Beispiel die Schule: In Dortmund war sie schon auf dem Gymnasium gewesen, jetzt würde sie wieder in die Grundschule gehen. Die ging in Südtirol nämlich bis zur sechsten Klasse, nicht nur bis zur vierten. Das Haus, in dem die Dorfschule untergebracht war, hatte Emma schon gesehen. Es war ein Flachbau neben der Kirche, in dem auch der Kindergarten untergebracht war. In einem Jahr würde Emma auf die Mittelschule kommen, dann würde sie mit dem Bus ins über-übernächste Dorf fahren müssen. Eine Fahrkarte hatte sie schon, denn auch sonst würde sie oft auf den Bus angewiesen sein. In St. Vinzent gab es nur einen Laden, in dem man Lebensmittel kaufen konnte und ein paar andere Sachen, die man immer brauchte. Für Kleidung, Bücher und Werkzeug musste man zu weiter entfernten Geschäften fahren.

Ein paar Hundert Meter vom Dorf entfernt gab es zwei große Hotels. Dort war immer viel los, aber ins Dorf kamen die Touristen kaum. Die Hotels hatten eigene Bars und Restaurants, deshalb mussten die Feriengäste nicht ins Café Steiner kommen, das direkt neben dem Pfarrhaus lag. Tagsüber waren die Touristen sowieso meist unterwegs, sie wanderten zu den Almen rund ums Dorf, fuhren zum Shoppen in die Städte oder besuchten ein Museum.

Emma kannte sich längst noch nicht richtig aus. Im Dorf fand sie den Weg, aber das war auch nicht schwer. Es gab nur die Hauptstraße, an der die meisten Häuser lagen, und ganz wenige Seitenstraßen. Aber sie musste immer noch nachgucken, wann die Busse fuhren, und außerhalb des Dorfes wusste sie überhaupt nicht Bescheid.

Gleich bei ihrer ersten größeren Entdeckungstour hatte sie sich hoffnungslos verlaufen. Dabei hatte sie extra zusammen mit ihren Eltern eine einfache Route ausgesucht und eine gute Wanderkarte eingepackt! Erst war auch alles gut gegangen, doch auf dem Rückweg von der Gruber-Alm war sie von einem Wetterumschwung überrascht worden. Es hatte so geregnet, dass sie die Hand nicht mehr vor Augen gesehen hatte, da musste sie die richtige Abzweigung verpasst haben. Mehr als eine Stunde war sie herumgeirrt auf der Suche nach einem Weg, der vom Berg zurück ins Dorf führte.

Zum Glück hatte sie dann Valentin getroffen. Er war so alt wie sie und wohnte in einem Weiler, der zu St. Vinzent gehörte, aber ein Stück vom Dorf entfernt lag. Er war auch auf dem Abstieg von einer Alm gewesen und genauso wie Emma in den Regen geraten. Anders als sie kannte er sich aber natürlich aus, und er war auch besser ausgerüstet gewesen. Eine Regenjacke hatte Emma zwar auch dabei gehabt, aber die hatte dem Platschregen nicht lange standgehalten. Valentin hatte Emma den Weg zurück ins Tal gezeigt und sie sogar noch bis nach Hause begleitet.

Er war der erste Freund, den sie in Südtirol gefunden hatte. Seit sie sich auf dem Berg getroffen hatten, machten sie oft etwas zusammen, Valentin zeigte ihr das Dorf und die Umgebung, und zum Schwimmbad hatte er sie auch schon mitgenommen. Manchmal waren seine Freunde dabei, vor allem Leonard, der Leo genannt wurde und der beste Fußballer von St. Vinzent war. Auch Valentin spielte beim FC, aber so gut wie Leo war er längst nicht.

Emmas Eltern freuten sich, dass Emma sich mit Valentin angefreundet hatte, sie wussten ja auch, dass Emma alle Freunde in Dortmund hatte zurücklassen müssen, und dass das nicht leicht war. Valentin würde Emma helfen, schneller in St. Vinzent heimisch zu werden, sagten sie.

Zu ihrer Überraschung durfte Emma mit ihm viel mehr unternehmen als früher mit Mia. Auf dem Dorf war es eben anders, hatte ihre Mutter ihr erklärt, es gab viel weniger Autos und kaum Kriminalität. Deshalb durfte Emma abends länger wegbleiben und musste nicht so genau sagen, wohin sie wollte. Nur wenn sie aus dem Dorf rauswollte, musste sie vorher fragen.

Eine Wanderung in die Berge hatte Emma nicht mehr unternommen, seit sie bei der ersten so viel Pech gehabt hatte. Aber Valentin ermutigte sie, es wieder zu versuchen, und lud sie ein, mit ihm zur Alm seiner Tante zu kommen. Die Weißenstein-Alm lag ein kleines bisschen höher als die Gruber-Alm, war aber immer noch gut zu erreichen. Zwei Stunden Gehzeit, meinte Valentin, und das auch nur, wenn sie sich Zeit ließen. Die Hälfte der Strecke war ein Fahrweg mit mäßiger Steigung, der Rest ging etwas steiler, aber nicht zu steil durch den Wald.

Emma packte einen Rucksack mit etwas zu essen und einer großen Flasche Wasser. Auch die Regenjacke packte sie ein, obwohl es absolut nicht nach Regen aussah. Sie hatte ja gemerkt, wie schnell das Wetter in den Bergen umschlagen konnte. Außerdem rieb sie sich mit Sonnenmilch ein; ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass man wegen der dünneren Luft in den Bergen leichter einen Sonnenbrand bekam, selbst wenn es gar nicht so warm war.

Valentin holte sie um viertel nach acht ab. Sie wollten wenigstens den Wald erreicht haben, ehe es richtig heiß wurde, denn auf dem Fahrweg gab es kaum Schatten. „Wollen wir?“, fragte er, nachdem er Emmas Mutter begrüßt hatte. Emmas Vater war bereits in der Werkstatt. Emma nickte. „Ich bin so weit.“